Hochsensibilität und Zyklus — eine explosive Mischung?
15-20 % der Bevölkerung wird hochsensitiv geboren. Als hochsensitive Person spürst du mehr, als andere das tun. Du bist feinfühliger, empfindsamer und dünnhäutiger. Was nun, wenn die Launen des inneren Herbstes auf dein dauerhaft durchlässiges Nervensystem treffen? Gibt das eine explosive Mischung oder kann es sein, dass gerade das Wissen um deinen Zyklus der Kompass für einen Alltag im inneren Gleichgewicht sein kann?
Um diese Frage zu beantworten, habe ich mit Nicole Leu gesprochen.
Ihr wurde mit 33 Jahren klar, dass Hochsensitivität in ihren Genen steckt. Für sie ein echtes Geschenk (meistens!), das nun auch im Zentrum ihrer Arbeit steckt und eine Herzensberufung geworden ist. Nicole hat einen Bachelor in Sozialpädagogik, ist ausgebildete Frauenbegleiterin und Mutter von zwei wundervollen Jungs.
Ihre Mission ist es, Eltern von hochsensiblen Kindern und hochsensitive Frauen zu coachen – egal, ob Mamas, Schwangere, Neu-Mamis oder kinderfreie Frauen. Online unterstützt sie hochsensitive Menschen dabei, ihr eigenes Wohlfühl-Leben zu gestalten und zu leben. Zudem bietet sie Workshops, Gruppenangebote und Referate zum Thema Hochsensibilität an.
Sie ist überzeugt davon, dass mehr Menschen erfahren sollten, dass Hochsensibilität eine einzigartige Eigenschaft ist. Viel zu oft wird lang und breit über die Schattenseiten und all die Herausforderungen und Nachteile berichtet, die sich aus einer besonderen Feinfühligkeit ergeben. Nicole sieht Hochsensibilität als Chance, die zu unserer ganz eigenen Wesensart beiträgt. Mit ihrem Wirken unterstützt sie hochsensitive Menschen dabei, ihre tollen Eigenschaften und Fähigkeiten zu erkennen und wertzuschätzen.
Hochsensibilität erkennen
Josianne: Zunächst einmal interessiert mich, woran du gemerkt hast, dass du hochsensibel bist?
Nicole: Während meines Studiums zur Sozialpädagogin habe ich mehr durch Zufall von der Hochsensibilität erfahren. Ich wurde sofort hellhörig und habe einen Selbsttest im Internet gemacht. Das Ergebnis hat mich amüsiert, dort stand: «Sie sind mit grosser Wahrscheinlichkeit eine hochsensible Person.»
Josianne: Wie ging es dir mit dieser neuen Erkenntnis?
Nicole: Naja, obwohl ich das am Anfang etwas komisch fand, hat es mich nicht losgelassen und ich habe ein Buch dazu gekauft. In ihm habe ich dann schwarz auf weiss nachlesen können, wie ich funktioniere und mich jeweils fühle. So habe ich schnell gemerkt, dass die Hochsensibilität nicht ein neuer Trend oder etwas Komisches ist, sondern dass es ein wissenschaftlich fundiertes Wesensmerkmal ist. Und zwar eines, das für mein Leben und mein Wohlbefinden sehr relevant ist. Ich las auch, dass rund 20 % der Bevölkerung ebenfalls hochsensibel veranlagt ist – das ist jede 5. Person!
MIt Hochsensibilität leben
Josianne: Plötzlich fühlt man sich nicht mehr als Ausserirdische und das tut gut, oder? Was hat sich durch dieses neue Wissen in deinem Alltag verändert?
Nicole: Mit dem erhaltenen Wissen wurde mir auf einmal mega klar, warum ich grosse Menschenmengen nicht gerne habe. Weshalb ich es schätze, so viel Zeit alleine zu haben und dies regelrecht brauche. Warum ich so viel im zwischenmenschlichen Bereich sehe, erkenne, spüre, wahrnehme. Weshalb ich mir oft so viel überlege.
Damit hat ein intensiver Persönlichkeitsprozess gestartet, welcher nicht immer einfach war. Viele Glaubenssätze durfte ich anschauen und manche kommen heute noch auf. Das Wissen zur Hochsensibilität stärkt und ermächtigt mich. Ich bin netter und wohlwollender mit mir. Trage mir mehr Sorge. Heute mache ich nicht mehr, was «man» von mir erwartet, sondern was passend für mich ist.
Ich durfte einen für mich ganz persönlichen, passenden und gelingenden Umgang mit meiner hochsensiblen Veranlagung erarbeiten, für mich unterstützende Strategien herausfinden und umsetzen. Mein ganz persönliches Wohlfühl-Leben kreieren und heute leben und das ist es, was ich auch mit den Frauen, die zu mir kommen, erarbeite.
Josianne: Wenn ich den Verdacht habe, dass ich selbst hochsensibel bin, könnte ich also einen Selbsttest machen. Doch was sind die Anzeichen? Was sind die klassischen Situationen, durch die man auffällt? Denn die Hochsensibilität kommt ja nicht plötzlich in unser Leben, sondern ist auch schon in der Kindheit spürbar, richtig?
Nicole: Oh, ja, tatsächlich kann ich mich auch an Situationen erinnern, in denen ich schon als Kind anders wahrgenommen habe. Ich hatte zum Beispiel auch Mühe mit dem Einschlafen. Als ich etwa 4 Jahre alt war, hat meine Mutter die kleine Nicole gefragt, warum sie denn nicht schlafen kann und bekam die Antwort: «Meine Gedanken lassen mich nicht einschlafen.»
Das ist ein typischer Wesenszug: Hochsensitive Menschen haben in der Regel ganz viel zu überlegen - im Voraus, in der Situation und danach. Tiefgründig, komplex und vernetzt. Das hindert einen dann schon mal am Einschlafen. Heute übrigens nicht mehr, weil ich mir inzwischen gelingende Strategien zurechtgelegt habe.
Josianne: Das mit dem Nachdenken kenne ich auch sehr gut. Es kann manchmal ziemlich anstrengend sein, gell?
Nicole: Ja und es gibt immer Gründe zum Nachdenken, oder? Es werden alle verschiedenen Möglichkeiten im Vorhinein durchdacht. Begegnungen und Situationen werden immer wieder im Nachhinein reflektiert. Doch es ist auch eine Stärke: Hochsensitive Menschen können komplexe Situationen oft genau erfassen und finden dann sehr innovative Lösungsansätze. Ausserdem ist der Gerechtigkeitssinn oft sehr ausgeprägt, was dazu führt, dass Hochsensible sich gerne für andere Menschen und ein faires Miteinander einsetzen.
Hochsensibel durch den Alltag navigieren
Josianne: Nun ist es ja so, dass hochsensible Menschen oft feinfühliger, empfindsamer und dünnhäutiger sind. Wie würdest du diese Gefühlswelt in deinen Worten beschreiben?
Nicole: Ja, das stimmt. Hochsensible Menschen gelten als die sogenannten «gefühlsstarken» Menschen. Wir nehmen intensiver wahr, ob negativ oder positiv. Vorfreude, Unsicherheiten, Stress, Glück, Ungerechtigkeiten, Streitigkeiten, Trauer, Anspannung, all das löst tiefe und starke Gefühle in uns aus. Unausgesprochene zwischenmenschliche Konflikte beschäftigen uns in der Regel mehr als andere, weil wir sehr empathisch sind und die Disharmonie stärker wahrnehmen.
Das gilt übrigens nicht nur für Gefühle. Auch auf anderen Sinnesebenen nehmen wir hochsensiblen Menschen viel mehr Details wahr. Wir haben oft ein besonderes Gespür für Formen, Farben, Bilder, Töne, Wörter, Geschmäcker und Gerüche. Das ist eine Gabe, kann uns aber im Alltag manchmal auch an unsere Grenzen bringen.
Josianne: Welche Situationen sind das, in denen hochsensible Menschen mit ihrem besonderen Gespür die Welt als anstrengend empfinden?
Nicole: Klassische Situationen sind zum Beispiel Gespräche plus Radio im Grossraumbüro. Das sind einfach zu viele Sinneseindrücke und das kann uns belasten. Auch lebendige und laute Kinder, selbst oder gerade, wenn es unsere eigenen sind, können uns herausfordern. Dagegen kann schöne Musik uns tief bewegen und zu Tränen rühren.
Manchmal komme ich an Orte, an denen ich die Gerüche kaum aushalten kann. Das kann auch nur ein süsses Parfüm sein, das andere Menschen nicht registrieren und für mich jedoch sehr unangenehm ist. In anderen Situationen geniesse ich Düfte sehr und kann das auch geschickt für mich einsetzen.
Josianne: Heisst das, dass es ganz stark darauf ankommt, wie ich als hochsensibler Mensch die Situationen bewerte und ob ich gelernt habe, mit ihnen umzugehen?
Nicole: Ganz genau. Da wir so viel wahrnehmen, ist es kein Wunder, dass wir schneller in die Überreizung geraten. Dann ist plötzlich alles zu viel. Man möchte nur noch alleine sein, ist weinerlich unterwegs oder wird wütend. Gibt patzige Antworten und rastet regelrecht aus. Man gerät in Blockaden, wird überdreht, tollpatschig, kann sich nicht mehr konzentrieren.
Das Wichtigste ist, dass man sich und seine Bedürfnisse gut kennt. Dass man diese Bedürfnisse und die Grenzen, die daraus resultieren, selbst ernst nimmt, respektiert und akzeptiert.
Hochsensibel und zyklisch - wie geht das?
Josianne: Nun schaue ich ja als Zyklusmentorin immer mit der Zyklusbrille auf das, was mir begegnet. Und ich frage mich, was jetzt passiert, wenn die Launen des inneren Herbstes auf ein dauerhaft durchlässiges Nervensystem treffen? Gibt es bestimmte Zyklusphasen, in denen Hochsensibilität besonders herausfordernd oder besonders kraftvoll ist?
Nicole: Ich bin überzeugt, dass hochsensitive Frauen und nicht hochsensitive Frauen oftmals die gleichen Herausforderungen haben. Meine Hypothese ist: Durch die intensive Wahrnehmung spüren hochsensible Frauen ihre Zyklusschwankungen stärker und die alltäglichen Herausforderungen werden ebenfalls intensiver wahrgenommen.
Aus meinen persönlichen Erfahrungen und denen, die ich mit meinen Coaching-Frauen mache, ist für viele der innere Herbst und Winter oftmals besonders herausfordernd. Denn da werden wir noch «durchlässiger» als sonst. Wir nehmen die Gefühle von anderen noch stärker wahr, können uns schlechter abgrenzen als sonst und es braucht noch mehr Selbstfürsorge, wie zum Beispiel genügend Schlaf.
Dazu kommt, dass viele hochsensitive Personen sehr perfektionistisch veranlagt sind. Im inneren Herbst und Winter wäre es für sie und ihren Energiehaushalt sehr wohlwollend, wenn sie «de Füfer grad lassen würden», doch das ist gar nicht so easy.
Doch weil ich meinen Zyklus kenne, weiss ich auch, in welchen Phasen ich auf meine einzigartigen, hochsensitiven Fähigkeiten besonders gut zurückgreifen kann. Menschen lesen, Situationen richtig einschätzen, meiner intuitiven Wahrnehmung vertrauen. Dann ist es mir wohl mit Menschen und ich kann problemlos meine hohen Sozialkompetenzen leben.
Josianne: Was hat dir geholfen, mit den Herausforderungen umzugehen, die aus dem eigenen Zyklus und der Hochsensibilität entstehen?
Nicole: Für mich war es ein Gamechanger, mein Wissen über die Hochsensibilität mit dem Zykluswissen zu kombinieren. Ich nehme meine Bedürfnisse noch ernster, ich weiss, was mir wann gut tut. Mit wem und durch was ich wieder Energie bekomme und meine Reizlast abbauen kann.
Ich plane viel bewusster. Durch das Zykluswissen bekam ich die Erklärung, weshalb ich nicht immer gleich funktioniere und weshalb ich manchmal geduldiger bin und manchmal schneller in die Überreizung gerate.
Josianne: Wenn du einer hochsensitiven Frau, die noch nicht zyklisch lebt, erste Schritte empfehlen würdest – welche wären das?
Nicole: Zunächst ist es wichtig, überhaupt zu wissen, wo man im Zyklus steht und ein Bewusstsein für die vier unterschiedlichen Phasen, Gemütszustände und Themen in den unterschiedlichen Zyklusphasen zu bekommen. Mir hat dabei das Ausfüllen deines Zyklusrades sehr geholfen. Ausserdem nutze ich noch zusätzlich eine Zyklus-App.
Mit meinem Wissen um die Hochsensitivität und dem Zykluswissen zwinge ich mich nicht mehr in schwierige Situationen. Das ist unglaublich hilfreich und es macht das Leben so viel leichter.
Josianne: Ich danke dir von Herzen für das Gespräch, liebe Nicole!
Wenn du dich in den Schilderungen wiederfindest und spürst, dass es für dich oder dein Kind ein Segen sein könnte, eigene Strategien im Umgang mit Hochsensitivität zu entwickeln, dann schaue gerne auf Nicoles Website vorbei: https://www.nicoleleu.com/

Hoi, ich bin Josianne,
die Frau hinter Quittenduft. Als Menstruationskundige und Zykluscoach gebe ich seit über 10 Jahren mein Wissen rund um den weiblichen Zyklus weiter. So auch hier auf meinem Blog, der dich dabei unterstützen soll, besser zu verstehen, was es mit dem zyklischen Leben auf sich hat. Mal nachdenklich, mal frech, mal superklug – aber immer bloody lesenswert.
Hat dir das gefallen und du möchtest mehr über das zyklische Leben erfahren? Dann melde dich für die kleine Schritt-für-Schritt-Einführung in den Zyklus an. Wir lesen uns.
Mit «Hello Zyklus!» Schritt für Schritt ins zyklische Leben eintauchen
Ich, Josianne, erkläre dir in 3 Schritten höchstpersönlich die Basics:
- Was es mit dem inneren Frühling und Sommer auf sich hat und was du in der ersten Zyklushälfte beachten darfst, damit du nicht ausbrennst und uf dä Felgä bei der nächsten Mens ankommst.
- Selbstbeobachtung: Das A und O im zyklischen Leben - wie du ganz easy damit beginnst und warum es dir hilft, ALLE Zyklusphasen smart für dich zu nutzen (inklusive Zyklusrad zum Ausfüllen.)
- Wie du dich so durch den inneren Herbst und Winter navigierst, dass du die Zeit vor und während der Mens nicht mehr absitzt, sondern in Zukunft bloody good meisterst.
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